„Wat is dat schön hier!“ – Diese Feststellung wollten wir gerne selbst mit einem Photowalk an den Phoenix-See in Dortmund-Hörde bestätigen. Zuvor stand jedoch noch die ’World Press Photo Ausstellung’ im Kulturort Depot Dortmund auf unserem Plan.
Unsere Fotos von der neuen ’Photopia’-Messe und vom anschließenden zweitägigen Photowalk in Hamburg sind noch nicht vollständig gesichtet, geschweige denn bearbeitet, da steht schon der nächste Termin zum Besuch der aktuellen ’World Press Photo Ausstellung’ im Kulturdepot in Dortmund an. Weil diese Ausstellung nur noch bis zum 17. Oktober 2021 in Dortmund gezeigt wird, wurde es Zeit, diese Gelegenheit noch zu nutzen. Das Interesse der User im ExifCafé war groß, daher fuhren wir mit zwei Fahrzeugen nach Dortmund.
Am 3. Dezember 1955 wurde die erste ’World Press Photo Ausstellung’ eröffnet. Seitdem startet die jährliche Ausstellung jedes Jahr im April mit der Premiere in Amsterdam, bevor sie auf weltweite Tournee geht und in über 50 Ländern und 120 Städten präsentiert wird, um jedes Jahr erneut mehrere Millionen Betrachter zu beeindrucken. Die Welt mit den Geschichten verbinden, die wichtig sind, ist das Ziel der Ausstellung, in der über 150 Bilder gezeigt werden. Aufnahmen aus dem Sport, poetische Naturbilder und Fotoreportagen, die Einblicke in viele, manchmal auch nur oberflächlich bekannte Ereignisse unseres aktuellen Weltgeschehens bieten.
Beim meinem ersten Besuch der ’World Press Photo Ausstellung’ im Oktober des letzten Jahres war ich sehr überrascht, dass von den populärsten Bildern des Jahres, die ich in Zeitungen, Magazinen und anderen Medien gesehen hatte, nichts zu sehen war. Das hatte ich, vor meinem Ausstellungsbesuch, als gesetzte Zeitdokumente erwartet. Insofern muss ich auch dem Text des diesjährigen Flyers zur Ausstellung widersprechen, in dem zu lesen ist: „Da alle wichtigen nachrichtenbezogenen Ereignisse des Vorjahres abgebildet sind, bietet die Ausstellung außerdem einen Rückblick auf das vergangene Jahr“. Ich weiß, dass unsere Welt etwas komplexer ist, als dass es möglich wäre, alle wichtigen Ereignisse eines Jahres in etwas mehr als 150 Bildern zu präsentieren.
Gezeigte Themen, wie das der Reborn-Puppe, haben mich als Beitrag in dieser Ausstellung etwas irritiert. Wie dem beigefügten Text der Bilder zu entnehmen ist, werden hyperrealistische Puppen aus Silikon bis ins kleinste Detail neugeborenen Babys nachempfunden. Mit menschlichem Haar und Wimpern und dem Geruch von Neugeborenen. Komplexere Ausführungen dieser Puppen simulieren Herzschlag und Atmung. Der Erwerb einer dieser Puppen kann wie bei einer tatsächlichen Adoption ablaufen. Geliefert wird eine verpackte Puppe mit Adoptions- und Geburtsurkunde. Bei bestehenden Traumata, zum Beispiel bei einer Fehlgeburt, kann eine solche Puppe als Kindersatz bzw. als Therapie verwendet werden. Die Fotografin Karolina Jonderko aus Polen wollte erkunden, wie künstliche Säuglinge echte emotionale Reaktionen bei Erwachsenen auslösen.
Unglaublich empfinde ich auch die Darstellung der vielen Waffen, die jeder US-Bürger besitzen darf. Noch viel schlimmer erscheint mir jedoch die Eigendarstellung der Besitzer dieser Waffen: Mein Haus, mein Sportwagen und mein Pool, um den mehr als hundert Waffen ausgelegt sind – und der Besitzer inmitten dieser Szene mit zwei, mehrere Meter weit feuerspeienden Flammenwerfern – American Style? American Life? Für mich unwirklich, skurril!
Wahrscheinlich kann man über diese Themen stundenlang diskutieren. Mir fehlt die Akzeptanz zu dieser Gedankenwelt. Ich fürchte, dass sich in unserer aktuell sehr schnell verändernden Welt der ’normale’ Menschenverstand immer mehr von der Realität entfernt. Manche Zeitgenossen haben mit den ersten Ansätzen der künstlichen Intelligenz schon das eigene (Nach-) Denken aufgegeben – anders sind einige Nachrichten und Bilder nicht zu erklären.
Die Ausstellung im Kulturort Depot, einem ehemaligen Straßenbahndepot, wird relativ sachlich präsentiert. Im langgezogenen Ausstellungsraum sind die Stellwände an den Außenseiten und mittig im Raum aufgestellt. Die ca. 150 Bilder sind auf Papptafeln im Format ca. 120 x 80 Zentimetern gedruckt. Oft sind auf einer Tafel auch mehrere Bilder gedruckt. Gezeigt werden Momentaufnahmen von Krieg, Aufständen, Vertreibung, Diskriminierung, Katastrophen, Umweltschäden, Klimawandel, Krankheiten und der Corona-Pandemie. Alltagssituationen, in denen Verhaltensweisen und unterschiedliche Ansichten und Meinungen zu Konflikten mit ungeahnten Auswirkungen führen.
Für den Sport steht ein Bild von einem krassen Unfall beim Radrennen ’Tour de Pologne’, das kurz vor der Ziellinie aufgenommen wurde. Fotografisch festgehalten wurde der Moment, in dem mehrere Radrennfahrer über eine Absperrung stürzten. Dabei erlitt einer der Radrennfahrer schwerste Verletzungen, die ihn nach mehrstündiger Operation noch lange Zeit auf der Intensivstation verbringen ließen.
Während in der Ausstellung 2020 noch einige Bilder aus dem Sport an Erfolge mit positiven Emotionen erinnerten, so habe ich in der diesjährigen Ausstellung wenig bis keine aufmunternden Bilder gesehen. Ich verstehe gut, dass die Menschheit auch durch die Fotografie aufgerüttelt werden muss. Aber auch wenn unsere Welt immer komplexer und schwieriger wird, hätten es einige positive Nachrichten des Jahres in diese Ausstellung schaffen sollen. Prinzip Hoffnung! Oder gab und gibt es keine mehr?
Im letzten Jahr hatte ich am Eröffnungstag der Ausstellung unter Corona-Bedingungen die Eintrittskarten-Nr. 000001 und in den ersten 45 Minuten nach der Ausstellungseröffnung waren wir vom ExifCafé die einzigen Besucher. In diesem Jahr war es, zwei Wochen nach Ausstellungsbeginn, die Ticket-Nr 0010610. Das zeugt von allgemein großem Interesse an der World Press Photo-Ausstellung.
Nach der Ausstellung war unser geplantes Hauptziel des Nachmittages der Phoenix See in Dortmund-Hörde. Aber vorher wollte ich unbedingt noch den großen Pottwal sehen, der als lebensgroße Wandmalerei an einem alten Lagergebäude ganz in der Nähe vom Kulturort Depot zu sehen ist. Dort angekommen, hätten wir uns noch etwas mehr Abstand zum Motiv gewünscht, aber ein geparkter Bus hat uns den gewünschten Mehrabstand nicht ermöglicht. Dafür war jedoch die Fläche vor dem Gebäude autofrei. Man kann eben nicht immer alles haben! Aber der Pottwal auf der Hauswand ist schon ein echter Blickfang!
Am Dortmunder Phoenix-See wollten wir die an den Ufern stehenden, sehenswerten Gebäude mit ihrer gleichartigen Architektur fotografieren. Bereits bei der Planung dieses Ziels haben Sven und Heinz den bestmöglichen Standpunkt zur Ablichtung dieses Motivs definiert und dazu auch den Sonnenstand berücksichtigt. Und der bot erst am Abend die besseren Möglichkeiten für unsere Fotografie. Darum hatte Heinz für die Zeit nach unserem Ausstellungsbesuch den Besuch eines weiteren Spots in direkter Nähe des alten Phoenix-Stahlwerks vorgeschlagen: Die Hympendahlbrücke – ein Viadukt, von dem nur noch die Brückenköpfe ohne Verbindung stehen. Die Reste der Hympendahlbrücke liegen etwas versteckt zwischen dem Phoenix See und der ehemaligen Hochofenanlage Phoenix West.
Als wir gegen 13.30 Uhr an der Hochofenanlage Phoenix West ankommen, sind die Parkplätze überfüllt, erst nach einigen Umrundungen finden wir einen Abstellplatz für unsere Fahrzeuge. Die alte Industrieanlage sieht gewaltig aus. Über einem ca. 350 Meter langen Gasrohr werden Besucher in 25 Meter Höhe während ihrem geführten Skywalk über Technik und Arbeitsweisen des ehemaligen Stahlwerks informiert. Der Eingang zur ’Phoenix-Halle’ wird von Wachpersonal gesichert, wir dürfen dennoch einmal ins Innere und Fotos der Halle aus Backstein und Stahl machen. Sehr schön wirken die großen Rundbogenfenster mit Gitterunterteilung im einfallenden Sonnenlicht.
Bei schönem Wetter, wolkenlosem Himmel und sehr angenehmen Temperaturen haben sich viele Besucher auf diesem Areal eingefunden. Dort ist auch die Brauerei ’Dortmunder Bergmann Bier’ ansässig, die über einen gut organisierten Ausschank die vielen Gäste im Biergarten glücklich macht. Und nachdem wir festgestellt haben, dass es am Foodtruck auch die begehrte Currywurst gibt, machten wir uns vorerst einmal auf den Weg zum Viadukt. Heinz erweist sich als versierter Scout, kurze Zeit später stehen wir vor den Brückenköpfen der in den 50er Jahren eingestürzten Hympendahlbrücke. Hier hat sich die Natur ihren Teil längst wieder zurückgeholt. Die 24 Meter hohe Brücke im römischen Stil wurde seinerzeit gebaut, um das Ablagerungsgebiet Halde Hympendahl mit der täglich zu entsorgenden Schlacke aus den Hochöfen schneller per Bahntransport zu erreichen.
Auf einer kleinen Plattform, in einer dem Viadukt vorgelagerten Grünanlage mit Teich, die einen schönen Blick auf die beiden Brückenköpfe bietet, bauen wir unsere Stative auf, um das Viadukt per Langzeitbelichtung mit Spiegelung im Teich aufzunehmen. Wir sind hier ganz ungestört, nur ab und zu kommen Spaziergänger oder Radfahrer vorbei. Ein paar schöne Wolken hätten wir uns noch zur Aufnahme gewünscht, aber der blaue Himmel musste reichen.
Unsere etwas späte Mittagspause fand nach ausgiebiger Fotografie im gut besuchten Biergarten der Dortmunder Bergmann-Bier-Brauerei statt. Die Currywurst vom Foodtruck war wie gewünscht – also alles Bestens! Nach unserer Pause und machten wir uns auf den Weg zum Phoenix See. Vom angesteuerten Parkhaus bis zum See war nur noch ein kurzer Fußweg zurückzulegen. Dort angekommen, bot sich ein beeindruckendes Bild. Gleich hinter dem Zugang zur Hafenanlage, über eine Brücke und durch einen breiten, stählernen Rahmen ist ein alter, sieben Meter hoher Thomaskonverter aufgestellt. Es ist der letzte Konverter, der 1954 in der Hörder Kesselschmiede gebaut wurde. Bis 1964 war die ’Thomasbirne’ in Betrieb, um aus Roheisen Stahl zu erzeugen. Ein sehenswertes Relikt aus vergangenen Zeiten, das heute von spielenden Kindern als Klettergerüst genutzt wird.
Dann sind wir auf der Seepromenade mit den weißen Häusern, die alle im gleichen Stil gebaut wurden. Hier laden Restaurant, Cafés und Eisdielen zum genussreichen Verweilen ein. Die Kulisse wird ergänzt durch den kleinen Hafen für Segelschiffe und Tretboote, dazu ein strahlend blauer Himmel und viele gut gelaunte Besucher – ein Anblick, wie ich ihn in Dortmund nicht erwartet hätte! Stimmt also: „Wat is dat schön hier!“ kann man vollumfänglich bestätigen!
Die Naherholungsanlage Phoenix See in Dortmund-Hörde wurde im Frühjahr 2011 eröffnet. Der ca. 24 Hektar große Phoenix See mit einer Länge von ca. 1.200 Metern und der größten Breite von gut 300 Metern, wurde auf dem ehemaligen Stahlwerkareal Phoenix-Ost im Dortmunder Stadtteil Hörde angelegt – ein Strukturwandel-Vorzeigeobjekt für das Ruhrgebiet. Wohnen können hier nur die Reichen, aber der Aufenthalt ist natürlich für alle Besucher zu jeder Zeit immer wieder ein schönes Erlebnis. Um den Phoenix See führt ein breiter Radweg, der baulich vom Gehweg getrennt ist. So kommen sich Spaziergänger und Radfahrer nicht in die Quere.
Der vorab definierte Standort für unsere geplanten Aufnahmen war schnell gefunden. Um die besseren Lichtverhältnisse abzuwarten, hatten wir noch fast zwei Stunden Zeit. Somit bot sich noch die Gelegenheit, die Umgebung näher zu betrachten – oder auch die verlockenden Angebote der Gastronomie zu nutzen. Alfred und ich hatten uns – natürlich! – für die Erkundung der Umgebung entschieden. Andere blieben im Hafenbereich, mit Sicht auf die im 12. Jahrhundert erbaute Hörder Burg, die im Kontrast zur dominierenden, modernen Architektur am Phoenix See eine reizvolle Ansicht bietet.
Unser Eindruck, dass hier kein sozialer Wohnungsbau integriert war, bestätigte sich, als Alfred und ich durch die Wohnanlagen der nördlichen Hanglage gingen. Auf verschiedenen Höhenlagen wurden hier Ein- und Zweifamilienhäuser erstellt – alle weiß, alle mit Flachdach, alle mit Garten – alle sehr gepflegt und einfach traumhaft schön! In Hafenumgebung stehen mehrgeschossige Gebäude, die überwiegend gewerblich, unter anderem durch Gastronomie, Büros und einem Facharzt-Zentrum genutzt werden. Aber in den oberen Etagen sind auch einige sehr begehrte Penthouse-Wohnungen gelegen. Am flachen Südufer sind verschiedene Wohnformen und auch eine deutlich höhere Wohndichte zu erkennen – der Unterschied wird beim ersten Blick deutlich!
Das Ziel unserer Erkundung war der ’Neue Kaiserberg’. Diese Erhöhung hatte man bei der Entstehung des künstlich angelegten Phoenix Sees mit der ausgebaggerten Erde bis zu einer Höhe von 145 Meter aufgeschüttet und damit einen fantastischen Aussichtspunkt hoch über dem Phoenix See geschaffen, der den weiten Blick über den gesamten See, das Nord- und Südufer bis hin zur Hafenanlage ermöglicht. Zugänge zur oberen Plattform auf dem ’Neuen Kaiserberg’ sind über etwas steilere Treppen oder auch über die Anhöhe umkreisende Wege mit geringerer Steigung möglich. Die kleine Mühe zum Aufstieg lohnt sich in jedem Fall, denn der Ausblick von oben ist grandios! Der ’Neue Kaiserberg’ ist bei unserer Ankunft gut besucht, einige Besucher haben sich auch mit ihren Mountainbikes hierher begeben. Auf den abfallenden Wiesen des Hügels relaxen die Besucher mit schönem Ausblick. Ein Paar hat sogar eine Wasserpfeife mitgebracht, an der auch die kopftuchtragende Frau kräftig zieht. Hier oben scheint die Welt in Ordnung zu sein – ein schöner Tag!
Zurückgekehrt zum Hafen sehen wir schon die aufgestellten Stative der hier gebliebenen ExifCafé-User. Silvia hat uns wieder mit selbstgebackenen, kleinen Apfelkuchen versorgt, gute Stimmung, besser konnte es uns nicht gehen! Die Sonne war zwischenzeitlich hinter der Häuserreihe, allerdings war das Gegenlicht noch immer ziemlich krass. So haben wir noch längere Zeit durch zwischenzeitliche Aufnahmen die fotografischen Ergebnisse geprüft. Zwischendurch gab es immer wieder freundliche Gespräche mit vorbeigehenden Besuchern, die Interesse an unserem Vorhaben hatten.
Manchmal ist es seltsam: Da versucht man einen langen Abend, das Licht und die Stimmung des anvisierten Motivs mit der Kamera einzufangen. Das Display zeigt vielversprechende, zufriedenstellende Ansichten – alles gut! Und als man schon an den Abbau des Stativs denkt, kommt unerwartet das Tüpfelchen auf´s i. An diesem Abend war es die plötzlich, nur für kurze Zeit eingeschaltete Treppenhausbeleuchtung des Haupthauses im Motiv. Damit hatte Heinz das Foto dieses Tages im Leica-Kasten! Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, mit perfekt eingerichteter Kamera!
Zwei unterschiedliche Standorte wurden während der Aufnahmen favorisiert. Bei einem wiederholten Photowalk zum Phoenix See können wir mit den gemachten Erfahrungen unsere Aufnahmen und Ergebnisse noch besser planen. Als gegen 20.30 Uhr das letzte Licht der blauen Stunde durch das Schwarz der Nacht überdeckt wurde, zählten wir mit zu den letzten Besuchern am Phoenix See. Der Wind hatte aufgefrischt und es wurde deutlich kälter – Zeit für die Heimfahrt!
Der Tag begann mit einer interessanten Foto-Ausstellung, unsere eigene Fotografie und der Aufenthalt in Dortmund an der Hympendahlbrücke und dem Phoenix See haben uns sehr viel Spaß gemacht. Wat war dat wieder schön, mit Gleichgesinnten des ExifCafés unterwegs zu sein!