Wenn das Wort „Wildlife“ genannt wird, denken viele Menschen an Safaris in Afrika, wo Löwen, Elefanten, Nashörner und andere exotische Tiere zu beobachten sind. Natürlich reizt das Unbekannte und Exotische der afrikanischen Wildnis, aber man muss nicht in ferne Länder reisen, um echtes Wildlife zu erleben.
Mein „Wildlife“ findet in der heimischen Natur rund um Bielefeld in Ostwestfale-Lippe statt. In der Natur allgemein, auf Wiesen, in unseren Wäldern, in vielen Stadtbereichen und natürlich auch im eigenen Garten ist Wildlife-Fotografie mit außergewöhnlichen fotografischen Ergebnissen möglich. Hier ist zwar nicht mit exotischen Begegnungen zu rechnen, aber es ist genauso spannend. Wenn ich mit der Kamera losziehe, weiß ich nie, was mich bei meinem Fotoausflug erwartet – beziehungsweise ob mir überhaupt etwas begegnen wird.
Mein Interesse gilt hauptsächlich der heimischen Tierwelt in Ostwestfalen-Lippe, den wild lebenden Tieren in unserem eigenen, unmittelbaren Lebensraum. Ich liebe es zu entdecken, was und wer da alles versteckt mitten unter uns lebt. Die meisten Tiere leben in der Natur ein verstecktes Leben, abseits unserer Menschenwelt. Hier kleine Einblicke zu erhalten, getarnt im Gebüsch oder Unterholz zu sitzen und zu beobachten, was sich im Wald und auf Feld und Flur in der Tierwelt abspielt, ist meine größte Leidenschaft. Der Moment, wenn es irgendwo während einer Beobachtung knackt und raschelt und sich ein Tier aus seiner Deckung wagt, ist jedes Mal pures Glücksgefühlt und ein Geschenk der Natur.
Meine Exkursionen plane ich nur selten, weil sie auch sehr oft stattfinden. Wenn es mich wieder einmal nach draußen zieht, ist das meistens spontan, ich bin dann überwiegend allein auf gut Glück unterwegs. Immer mit viel Vorfreude und der Hoffnung, etwas Besonderes vor die Linse zu bekommen. Wenn ich nach asphaltierten Straßen auf Wald- oder Feldwegen unterwegs bin, habe ich auch die Gedanken an meine Alltagsthemen hinter mir gelassen. Ich bin dann voll fokussiert auf die Natur und was sich darin bewegt. Ab und zu bleibe ich einfach einmal stehen und beobachte eine Zeit lang, möglichst bewegungslos, die Umgebung. Das hat mir schon zu vielen interessanten Sichtungen verholfen.
Gelegentlich treffe ich mich aber auch mit anderen Naturfotografen, um interessante Sichtungen auszutauschen oder um mich unterwegs auch über unser gemeinschaftliches, fotografisches Hobby zu unterhalten. Diese Treffen sind auch sehr schön, bezüglich der Tiersichtungen aber weniger effektiv, weil unkonzentrierter, auffälliger und geräuschintensiver. Aber auch wenn ich allein unterwegs bin, gibt es Tage, an denen sich bei einem Fotoausflug kein Tier zeigt. Das ist aber für eine Naturfreundin wie mich kein Problem, denn allein der Aufenthalt in der Natur ist immer etwas Besonderes und beim nächsten Ausflug sind die Möglichkeiten dann vielleicht günstiger!
Gezieltes Ansitzen in freier Wildbahn plane ich, wenn ich weiß, dass sich ein Tier in einem bestimmten Gebiet aufhält. Dazu trage ich dann auch Tarnkleidung: Hose, Jacke und Hut im Camouflage-Look. Für längere Beobachtungszeiten habe ich auch ein Outdoor-Kissen dabei. In einem Versteck sitzend hilft dann nur noch die wichtigste Eigenschaft eines Naturfotografen: Mit viel Geduld warten, warten, warten… – bis sich etwas zeigt! Für vorbeikommende Spaziergänger, die mich entdecken, sieht es oft seltsam aus, wenn eine Frau im Tarnoutfit im Gebüsch hockend angetroffen wird, deshalb gibt es oftmals auch eine direkte Ansprache. Mit dem Hinweis auf Tierfotografie ist jedoch alles schnell und plausibel erklärt und oft wird im weiteren Gesprächsverlauf danach gefragt, was es denn alles zu sehen gäbe. Ich habe bisher nur freundliche, nette Menschen dabei kennen gelernt und öfters auch noch Tipps erhalten, wo mit etwas Glück besondere Tierbegegnungen möglich wären. Das Vorurteil von „sturen Ostwestfalen“ kann ich keinesfalls bestätigen.
Für meine Fotoausflüge nutze ich am liebsten die Zeit früh morgens zum Sonnenaufgang, dann ist in der Natur das Licht am schönsten und es sind kaum andere Menschen unterwegs. Wenn außer den erwachenden Vögeln alles still ist, sich der Morgennebel langsam verzieht und der Sonnenaufgang alles in goldene Farben taucht, ist allein schon diese Stimmung das frühe Aufstehen wert. Wenn ich dann vielleicht auch noch einen Fuchs nach nächtlicher Jagd zu seinem Bau schleichen sehe, dann fühle ich mich rundum glücklich. Nach einigen vielversprechenden Aufnahmen „im Kasten“ freue ich mich dann vor dem Heimweg über ein mitgebrachtes, schönes Butterbrot und Tee aus der Thermosflasche – besser kann es nicht sein!
Weil sich im Sommer an den Abenden oft fantastische Himmelsfarben zeigen, gehe ich auch gerne bis zum Sonnenuntergang in die Natur, zumal Rehe und Füchse auch in der Dämmerung zu finden sind. Ich mag alle Tiere, daher besuche ich auch sehr gerne Bauernhöfe, um Schweine, Kühe, Schafe und Hühner zu beobachten. Das ist dann zwar kein Wildlife, aber mitunter auch sehr interessant. Meine große Leidenschaft sind auch Störche, die seit einigen Jahren in jedem Frühjahr zum Brüten immer wieder in die Johannisbachaue zurückkehren, um hier ihre Jungen großzuziehen. Die Beobachtungen von der Ankunft der Weißstörche bis zum ersten Ausflug der Jungtiere sind immer ein besonderes Erlebnis.
Meine eindrucksvollsten Erlebnisse in den zurückliegenden Jahren waren Begegnungen bei Sonnenaufgang. Beim Blick über ein Feld, bei dem ich durchs Fernglas einen Hasen entdeckte, sah ich direkt neben dem Hasen einen Bussard sitzen und dazugesellt hatte sich auch noch ein Rabe. Unglaublich, alle drei Tiere saßen auf sehr geringem Abstand direkt zusammen. Ein Bild wie im Märchen, das den Rat der Tiere darstellt. Leider zeigte sich diese Szene nur in weiter Entfernung, dennoch riss ich die Kamera mit Teleobjektiv hoch und löste aus. Obwohl die 400 mm Tele-Brennweite an meiner APS-C-Kamera mit gut 600 mm auf dem Sensor ankommen, hätte ich mir noch wesentlich mehr Brennweite gewünscht. Nach einigen Sekunden Beobachtung der Szene war mir bewusst, worauf diese Versammlung schließen ließ. Der Feldhase hatte seine Jungen im Gras versteckt, die der Bussard als seine sichere Beute erkannt hatte. Der Hase wollte seine Jungen mutig verteidigen und den Bussard von seinem Nest weglocken. Als eigentlich unbeteiligter Dritter hoffte der Rabe, dass auch für ihn etwas von der Beute abfallen könnte. Am Ende siegte der Bussard, er erbeutete einen jungen Hasen und flog mit ihm davon. Der Rabe ging letztlich leer aus. Wenn ich daran denke, begeistert mich die Einzigartigkeit dieser Szene auch heute noch, die ich mir im Detail mit meinem Foto jederzeit in Erinnerung rufen kann.
Bei einem anderen Fotoausflug war ich bereits um fünf Uhr morgens in der Johannisbachaue unterwegs. Umgeben von dichtem Nebel wollte ich den Sonnenaufgang mit der Kamera festhalten. Plötzlich hörte ich laute, schnaubende und keuchende Geräusche. Weil im dichten Nebel nichts zu erkennen war, hörten sich die Geräusche ziemlich bedrohlich an. Einige Sekunden später hetzte in Todesangst ein Feldhase direkt an meinem Fotostativ vorbei, kurz hinter ihm ein jagender Fuchs, der mein Stativ bei der Verfolgung fast umgestoßen hat. Als der Fuchs mich wahrnahm, drehte er sofort ab, dadurch war ich für den Hasen an diesem Tag der Lebensretter! Das war pures Wildlife – und das in Bielefeld! Davon habe ich zwar kein Bild, aber das erlebt zu haben, ist auch etwas Einmaliges, das man nicht mehr vergisst!
Ein einzelnes Lieblingsbild habe ich nicht – dafür aber mehrere! Eine kleine Auswahl davon ist diesem Artikel beigefügt. Ebenso kann ich nicht selbst entscheiden, welches mein bestes Bild ist. Bei jedem Foto kann ich mich an die jeweilige Situation erinnern, beim Betrachten werden auch wieder die Emotionen wach, die mich abweichend vom Bildinhalt und der angewandten Technik zu keinem eindeutigen Ergebnis kommen lassen. Jedes Bild hat seine eigene Besonderheit. Eines meiner vielen Lieblingsbilder ist sicherlich auch das Foto der kleinen Blaumeise, die sich unter einer geöffneten Blüte perfekt in Szene setzt. Hier passt alles: Das besondere Motiv, harmonische Farben, schöne Freistellung und passende Schärfe. Auf Drängen von Fotofreunden hatte ich dieses Bild seinerzeit an die WDR-Redaktion „Lokalzeit OWL“ gesendet und tatsächlich wurde es noch am gleichen Abend in der Fernsehsendung gezeigt. Zu sehen ist es ebenfalls als Titelblatt dieses Magazins. Auch das Bild des jungen Bluthänflings, der mit seinem roten Brustgefieder etwas aufgeplustert auf einem Holzzaun sitzend skeptisch in die Kamera blickt, ist ein gelungenes, minimalistisch wirkendes Bild, auf dem es jedoch interessante Details zu sehen gibt.
Oft überraschen mich ungewöhnliche Szenen bei meinen Fotoausflügen, so auch die scheinbare „Unterhaltung“ eines Weißstorchs mit einer Elster, die zugeneigt und nah beieinander auf einem hölzernen Gatter sitzen. Über im Foto festgehaltene Szenen, in denen meine tierischen Hauptdarsteller etwas Unerwartetes tun, wie etwa an Blumen riechen oder durch Gestik Mimik überraschen, freue ich mich besonders. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und dabei auch noch eine ungewöhnliche Szene zu fotografieren, entlohnt für lange Wege und Schleppen des Fotoequipments.
Um mich nicht mehr mit allzu viel Gewicht bei meinen Fotoausflügen zu belasten, habe ich mein begleitendes Fotoequipment etwas umgestellt. Aktuell fotografiere ich mit der spiegellosen APS-C Fujifilm-Kamera X-H2s und einem Teleobjektiv Fujifilm XF100-400mm 4,5-5,6. An der APS-C-Kamera mit Crop-Faktor 1,5 ergibt das die maximale Brennweite von 600 mm. Ergänzend mit dabei sind ein Fujinon-Objektiv 50-150 mm und ein Fujinon-Makro-Objektiv 80 mm mit 2.8er Lichtstärke. Zum Transport nutze ich einen Rucksack und oft auch einen Beachtrolley, an dem auch die Halterung für mein Stativ angebracht ist. Größtenteils fotografiere ich mit dem Tele bei offener Blende und ISO-Automatik, diese Kombination sorgt bei den meisten Motiven für ausreichend kurze Belichtungszeiten. Für sich schnell bewegende Motive nutze ich die Zeitvorwahl. Um innerhalb einer Szene den richtigen Moment nicht zu verpassen, mache ich fast immer Serienaufnahmen und suche mir später aus der Serie die beste Momentaufnahme heraus.
Ein großer Vorteil der spiegellosen Systemkameras ist das völlig geräuschlose Auslösen, bei dem die Tiere nicht aufgeschreckt werden. Das war bei den Spiegelreflex-Kameras durch das Klacken des Spiegels bei der Auslösung durchaus ein Problem!
Meine Fotos bearbeite ich mit den Programmen Adobe Lightroom Classic und Adobe Photoshop, wobei ich mich jedoch weitestgehend auf die wesentlichen Bearbeitungsschritte wie Helligkeit, Kontrast, Schärfe, Farbe und Bildausschnitt begrenze. Zur Entrauschung von Bildern, bei denen das notwendige Licht fehlte, hat mich das Bearbeitungsprogramm von DXO überzeugt.
Sehr gerne fotografiere ich auch Insekten, Vögel, Molche, Frösche und auch Pflanzen. Unser Garten wurde vor etwa 25 Jahren bewusst insekten- und fledermausfreundlich angelegt. Seitdem hat sich in der Natur viel verändert. Der unglaubliche Insektenschwund und auch die deutlich dezimierte Vogelanzahl machen mir große Sorgen. Noch vor 10 Jahren war in unserem Garten eine große Artenvielfalt zu beobachten, darunter viele Schmetterlingsarten, Vögel, Bienen und Hummeln sowie Heupferdchen und viele Käferarten. Mit meinen Fotografien aus den alten Zeiten kann ich das alles nachvollziehen. Wenn ich das frühere Zwitschern, Krabbeln, Summen und Brummen mit dem unserer aktuellen Zeit vergleiche, bin ich entsetzt, wie wenig heute davon noch zu sehen und hören ist. Unter unserem Fledermauskasten habe ich vor einiger Zeit eine tote Baby-Fledermaus gefunden. In einem Gespräch mit einer NABU-Mitarbeiterin habe ich erfahren, dass ab und zu junge Fledermäuse den Hungertod sterben, da nicht genügend Muttermilch vorhanden und diese teilweise auch noch durch Pestizide belastet ist.
Seit ungefähr 25 Jahren bin ich in der Fotografie aktiv. Viele Jahre beschäftigte ich mich mit meiner Fotoidee » ‚multiple-mini-Art‘, der inszenierten Miniaturfotografie mit selbsterstellten Kulissen und Kostümen, bei der eine 6 cm große Erdmännchen-Figur der Hauptdarsteller ist. Mit diesem Thema habe ich in der Vergangenheit bereits zehn Einzelausstellungen im Raum Bielefeld gestaltet und dabei viel Zuspruch erhalten. Der Tierfotografie folge ich seit mehr als zehn Jahren und sie wird mich auch nicht mehr loslassen. Es gibt noch so viel zu entdecken, was ich bisher noch nicht gesehen habe. Vielleicht werde ich irgendwann auch einmal eine eigene Ausstellung zum Thema „Wildlife in OWL“ organisieren.
Zukünftig möchte ich mich neben der Tierfotografie auch intensiver mit der Astrofotografie beschäftigen, weil mich Sternenbilder der Milchstraße über nächtlicher Landschaft faszinieren. Dadurch wird mein Aufenthalt in der Natur noch erweitert, ich bin gespannt, ob ich dabei auch noch ergänzende Einblicke in die Aktivitäten der nächtlichen Tierwelt erhalte.
Mein Hobby der Wildlife-Tierfotografie bereichert mein Leben ungemein, schenkt mir viele wundervolle Momente in der Natur und verschafft mir auch Begegnungen mit gleichgesinnten Naturfreunden und Fotografen, mit denen ich meine Begeisterung teilen kann. Dazu muss ich nicht nach Afrika oder in andere ferne Länder reisen. Echtes Wildlife erlebe ich zu jeder Jahreszeit direkt vor meiner Haustür – im ostwestfälischen Bielefeld!
Ingrid Ohm
Ingrid Ohm fotografiert seit etwa 15 Jahren. Zunächst fotografierte sie mit Spiegelreflex-Systemen, heute nutzt sie moderne Fujifilm-Systemkameras. Viele Jahre arbeitetete sie ausschließlich an ihrer Fotoreihe ‚multiple-mini-Art‘, einer szenographischen Miniaturfotografie mit handgefertigten Kulissen, seit einigen Jahren widmet sie sich allerdings primär der Wildlife-Fotografie rund um Ostwestfalen-Lippe.
Falls Sie Fragen an Ingrid Ohm haben, erreichen Sie sie per Mail unter › ohming@web.de.