Andreas Gursky (*1955) zählt mit seinem unverwechselbaren fotografischen Stil zu den renommiertesten zeitgenössischen Fotografen weltweit. Aufgewachsen im Düsseldorfer Norden begannen Gurskys fotografische Streifzüge ins Ruhrgebiet immer in Duisburg. Das Umfeld ist ihm sehr vertraut. Eigenen Angaben nach birgt die aktuelle Ausstellung ’Andreas Gursky – Fotokunst aus vier Jahrzehnten’ im MKM Museum Küppersmühle für moderne Kunst in Duisburg für ihn eine stark emotionale Komponente. Aktuell arbeitet Andreas Gursky an einer Aufnahme, die die Industriearchitektur des Ruhrgebiets reflektiert. Vielleicht als unbewussten Dank an seine Lehrer Hilla und Bernd Becker.
Lange Zeit war für mich Gurskys Bild ’Rhein II’ ein echtes Reizthema. Gursky war dieses Motiv eher zufällig beim Joggen aufgefallen. Einige Zeit später hat er es schließlich fotografisch aufgenommen. Das Bild wurde am 8. November 2011 bei einer Auktion von Christie`s von einem nicht namentlich genannten Bieter für 3,1 Millionen Euro ersteigert. Seinerzeit war ’Rhein II’ damit die teuerste Fotografie der Welt. Ein Bild, das durch Grafik und Farben gestaltet ist. Gezeigt wird der fließende Rhein zwischen grasbewachsenen Deichen, unter dessen vorderem Deich ein asphaltierter Rad- und Fußweg zu sehen ist. Als ich zur Kenntnis genommen habe, dass das Endergebnis von ’Rhein II’ massiv digital bearbeitet wurde, indem unter anderem das Kraftwerk Lausward und andere Hafenanlagen im Hintergrund und auch die Person, die einen Hund ausführt, entfernt wurden, sah ich mein distanziertes Verständnis zur Kunst dieses Bildes bestätigt.
Die Präsentation des Bildes ist allerdings außergewöhnlich. Es wurde in der Größe von 185,4 x 363,5 cm ausbelichtet und mit der Bildseite auf Acrylglas montiert. Ich erkenne neidlos an, dass Gursky alles richtig gemacht hat. Er hat das Motiv erkannt und später seiner Sichtweise entsprechend gestaltet. Die radikal durchgeführte digitale Bearbeitung war nie ein Geheimnis. Dass ich mit dem Fakt kollidiere, dass es Menschen gibt, denen ein digital manipuliertes Bild einen Millionenbetrag wert ist, ist eher mein eigenes Problem. Wie auch mein Problem mit der Kunst allgemein – Als amüsant empfinde ich oftmals Fachgespräche zwischen Künstlern, Kuratoren und sonstigen Kunstsachverständigen, bei denen in der Fragestellung oftmals schon die Antwort enthalten ist. Der Künstler muss nur noch zustimmend nicken. Das erinnert mich immer an das Märchen ’Des Kaisers neue Kleider’, im dem die Unsicherheit und Angst um eigene Schwächen größer ist, als die deutliche Realität zu bestätigen. Zwischenzeitlich weiß ich aber, dass in unserer schnellen und so modernen Welt nichts mehr unmöglich ist. ’Rhein II’ wurde zwischenzeitlich von vielen Fotografen nachgestellt. Die Unterschiede zum Original von Gursky sind in manchen dieser nachgestellten Ansichten erstaunlich gering, was auch durch die permanente Weiterentwicklung der digitalen Bildbearbeitung möglich wird.
Gerade wegen meiner kritischen Ansichten bin ich sehr gerne und erwartungsvoll mit anderen Usern des ExifCafé zur Gursky-Ausstellung nach Duisburg gefahren. Auch, weil ich bisher viel zu wenig von seinen Arbeiten kannte und sehr gespannt war, wie ich die ausgestellten Gursky-Bilder in meiner subjektiven Ansicht aufnehme.
Das MKM Museum Küppersmühle für moderne Kunst ist im Duisburger Innenhafen gelegen und allein schon wegen seiner außergewöhnlichen Architektur einen Besuch wert. Das sehenswerte Treppenhaus hat uns bereits beim Besuch der Ausstellung ’Melting Pott’ von Till Brönner begeistert, es bietet eine eigene Motivwelt. Zwischenzeitlich wurde nach vier Jahren Bauzeit der Erweiterungsbau am Museum Küppersmühle fertiggestellt und im September 2021 eröffnet. Der Neubau präsentiert sich außen mit einer markanten, roten Backsteinfassade und innen als ’White Cube’ mit viel Raum, um ausgestellter Kunst Wirkung zu verleihen. Über den historischen Silos, die im Rahmen der baulichen Erweiterung integriert wurden, befindet sich jetzt eine Aussichtsterrasse, die den Besuchern bei geeigneter Witterung einen weiten Blick ins Ruhrgebiet ermöglicht. Sie wird jedoch erst im kommenden Frühjahr für Besucher freigegeben.
Dass der Tag und die Ausstellung gut werden, daran habe ich nie gezweifelt. Das begann schon mit unerwartet gutem Wetter bei der Hinfahrt, die ohne verkehrstechnische Störungen und mit kurzweiligen Gesprächen verlief. Vor Ort haben die Organisatoren der Ausstellung alles getan, um die Einhaltung der aktuellen Corona-Regeln umzusetzen, mit Impfnachweis- und Personalausweis-Kontrolle und auch in den großzügigen Ausstellungsräumen konnte jeder Besucher problemlos den Mindestabstand wahren. Weil wir wussten, dass das Fotografieren (ohne Stativ und ohne Blitzlicht) in allen Ausstellungsräumen gestattet ist, hatten wir unsere Kameras mitgenommen. Hinter dem Ausstellungseingang hat jeder ExifCafé-User seinen eigenen Weg und sein individuelles Tempo zur Besichtigung der Gursky-Bilder bestimmt.
Die Ausstellung in der Küppersmühle wurde in enger Zusammenarbeit mit Gursky kuratiert. Zu sehen sind ca. 60 Fotografien, darunter bekannte Werke, aber auch neue Arbeiten im Großformat. Bilder aus vier Jahrzehnten, beginnend mit Gurskys ersten Arbeiten aus dem Ruhrgebiet. Entsprechend der Bedeutung des Fotokünstlers Andreas Gursky sind Aufmachung und Ausstattung der Ausstellung sehr wertig und großartig im wahren Sinn des Wortes. Die Aufnahmetechnik – und natürlich auch die Bildbearbeitung – zeigen selbst bei großformatigen Bildern kleinste Details in bester Qualität. Man hat den Eindruck, dass jeder Quadratzentimeter eines jeden ausgestellten Bildes mehrfach geprüft wurde. Beeindruckende Bildformate, manchmal auch überraschende Motive und oft ist auch der zweite und dritte Blick erforderlich, um das Gezeigte zu erkennen. Die Präsentation der Bilder ist bislang die beste, die ich in einer Ausstellung gesehen habe. Dass das auch so bleibt, dafür sorgt das sehr aufmerksame Museums-Aufsichtspersonal. Sobald jemand einem Bild zu nahe kommt, wird höflich, aber bestimmt, auf den einzuhaltenden Abstand hingewiesen. Anfassen geht gar nicht – nur ansehen ist erlaubt!
Gleich hinter dem Eingang zieht das großformatige Bild mit dem Titel ’Kreuzfahrt 2020’ die Besucher an. Es zeigt die Breitseite eines Kreuzfahrtriesen mit über 400 Außenkabinen, in deren Innenräumen Details wie beispielsweise ein TV-Bildschirm erkennbar sind. Die über dem Oberdeck füllenden Muster haben die meisten Betrachter wahrscheinlich nicht bewusst wahrgenommen oder einfach ignoriert. Anzeichen für ein digital ergänztes Mittelteil?
’Amazon 2016’ zeigt tausende, unterschiedliche Warenpackstücke in einer unvorstellbaren Anordnung vor einem vollgepackten Palettenregal. Das kann keine realistische Ansicht sein, aber sie stellt die geballte Wucht des Handelsriesen Amazon in perfekter Weise dar.
Leider war mein bisheriges Reizthema ’Rhein II’ nicht in der Ausstellung zu sehen, aber die Version von ’Rhein III’, die aus einer anderen Jahreszeit von Gursky aufgenommen – oder dazu bearbeitet wurde – war vorhanden. Größe und Ausstattung sind fantastisch, das Motiv kann mich aber noch immer nicht begeistern. Aber ich kann es mir zwischenzeitlich ohne inneren Konflikt ansehen.
Ein anderes großformatiges Bild hat mich jedoch komplett mitgenommen: ’Katar’. Dieses Bild habe ich mir angesehen, ohne es jedoch zu verstehen, weil ich das entscheidende Detail nicht richtig erkannt habe. Das Motiv ist eine riesige Halle, die in ihrer achteckigen Bauweise, erkennbar an der geometrischen Form der Stirnwand, an einen Sarg erinnert. Der gesamte Innenraum, alle Wände, Decken und Böden sind belegt mit Planken aus glänzendem Gold, das das einfallende Licht in alle Richtungen reflektiert. Am Boden der Stirnseite ist unscheinbar ein kleines, weißes Tuch gespannt, hinter dem der Schatten eines einzelnen Arbeiters erkennbar ist, der kniend an der Vervollständigung des goldenen Raums arbeitet. Ich hatte zwar das Tuch erkannt, nicht jedoch den Schatten des Arbeiters. Was für eine Idee, fotografische Umsetzung und Bearbeitung – was für eine Ansicht! Natürlich ist auch das keine reale Ansicht. In Katar würde kein Scheich ein solches Bild ermöglichen oder akzeptieren.
Das Motiv im Hochformatbild ’Beelitz’, das auf den ersten Blick mit sehr vielen waagerechten Linien wahrgenommen wird, zeigt sich beim intensiveren Hinsehen als ein überdimensionales, sehr großes Spargelfeld, aufgenommen aus der Vogelperspektive über der Spargelstadt Beelitz in Brandenburg. Der aufmerksame Betrachter kann sogar den bereits gestochenen Spargel in den Kisten erkennen.
Auf dem Bild ’XIX Ohne Titel 2015’ vermutete ich die Ablichtung von Teppichstrukturen, bis ich erkannte, dass es auch eine Aufnahme aus der Vogelperspektive war, die ein riesiges Tulpenfeld zeigt.
Viele unterschiedliche Formate, vom Format ca. 30×40 cm, aus den Anfängen seiner künstlerischen Karriere bis hin zu unterschiedlichen XXL-Größen mit einer Breite von ca. vier Metern. Die kleineren Bilder zeigen Urlaubsmotive, einen Hühnerauslauf, Landschaften, Sonntagsspaziergänger und besetzte Pförtnerlogen in unterschiedlichen Einrichtungen. Ein Bild aus dem Jahr 1980, von einem weißen Homann Gasherd in Betrieb, vor weißem, ungeschönten Hintergrund hat mir echt Spaß gemacht. Das Bild hat Gursky im Alter von 25 Jahren aufgenommen.
Alle Bilder der Ausstellung sind gerahmt mit grauer Holzleiste. Die großen Formate wurden wahrscheinlich weitestgehend mit der Bildseite auf Acylglas gedruckt, weil ich bei den riesigen Formaten nicht wirklich glaube, dass dafür Glas genutzt werden kann. Etwas störend wirkten die Lichtreflexe der Raumbeleuchtungen und die Spiegelungen der betrachtenden Besucher in den glänzenden Exponaten. Eine Einschränkung, die man häufig durch einen günstigen Betrachtungswinkel auszugleichen versuchte. Dennoch ist die Ausführung der großformatigen Bilder eine außergewöhnlich gut gelungene Präsentation.
Gurskys Kunst ist nicht die nüchterne Realität allein – er komponiert reale und eigene, sinnbildlich erdachte Motivinhalte in dezenter und/oder drastischer Weise zu realistischen Ansichten. Für seine Ideen und Vorstellungen findet er kreative Mittel und Wege zur bildlichen Umsetzung. Er greift massiv digital in die Aufnahmen ein, ergänzt, entfernt, passt an, um seine Vision bildlich umzusetzen. Genau dafür wird er von den Ausstellungsmachern gelobt: „Seinen Arbeiten ist eine besondere Objektsprache zu eigen, die vielfältige gesellschaftliche Fragestellungen und aktuelle Themen kritisch aufgreift“.
Ich muss zugeben, dass ich nach der Ausstellung einen anderen Blick auf Gurskys Arbeiten habe. Diese Ausstellung hat mir seine Kunst verständlicher gemacht, obwohl ich aber auch zukünftig noch immer differenzieren werde. Dieser Ausstellungsbesuch war mir wichtig und hat sich in jedem Fall gelohnt!
Außer den zeitlich begrenzten Sonderausstellungen gibt es im Museum Küppersmühle ganzjährig moderne Kunst zu sehen, zu bestaunen, zu erraten oder manchmal auch zu belächeln, wie zum Beispiel die umgestoßenen, auf dem Boden liegenden Möbelteile, einem Arrangement von Künstler Reiner Ruthenbeck. Natürlich haben wir uns auch diese umfangreiche Ausstellung angesehen, für die auch die ’White Cubes’ im neuen Anbau genutzt wurden.
Die unterschiedlichen Etagen der Ausstellungsräume sind nach der Eröffnung des Erweiterungsanbaus jetzt über zwei terracottafarbene Treppenhäuser zu erreichen. Nahezu mit jeder Stufe bietet sich eine andere Ansicht. Auch dieses Mal haben einige von uns Zeit gebraucht, um sich zumindest wieder einmal ’sattzusehen’ und einige Fotos davon zu machen.
Erst am späten Nachmittag haben wir an eine Pause und Essen und Trinken gedacht. Im nahegelegenen Restaurant ’Bolero’ haben wir den passenden Platz und das richtige Angebot zur Stärkung gefunden. Obwohl das Wetter nicht besonders einladend war, haben wir abschließend noch eine fußläufige Runde durch den Duisburger Innenhafen gedreht, um nach einem Tag, an dem überwiegend die Maske getragen wurde, vor der Rückfahrt noch einmal richtig ’durchzulüften’.
Die Ausstellung war sehr gut, wie auch der ganze Tag – und überhaupt: Gemeinschaftliche Unternehmungen im ExifCafé sind immer wieder ein Highlight!