Nach der Werkschau der Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Gestaltung, im Juli letzten Jahres, bei der ich wegen unzureichender, bzw. unterlassener Gestaltung des Umfeldes einzelner Ausstellungsbereiche von den eigentlichen Arbeiten der Absolventen massiv abgelenkt wurde, war ich sehr gespannt, ob die aktuellen Studienabsolventen das bei dieser Ausstellung besser gemacht haben. Die Tagespresse hatte zur Werkschau des Wintersemesters 2019/2020 interessante Ansichten der 20 Bachelor- und 8 Masterabsolventen angekündigt.
Nach der Eröffnungsansprache verteilten sich die zahlreichen Besucher der Werkschau auf 3 Etagen, in 28 Räumen der Fachhochschule Bielefeld in der Lampingstrasse. Die allgemein nüchternen Räume mit den weißen Wänden wurden teilweise sehr aufwändig für die unterschiedlichen Themen der ausgestellten Arbeiten ausgestattet.
Frauke Sornig, die ihren praxisorientierten Hochschulüberlebens-Guide präsentierte, hat dazu den gesamten Raum „dschungelmäßig“ gestaltet. Durch bemalte Stellwände, geführte Wege, mit Lianen, Blütenranken und Blätterdekorationen, inklusive Dschungelcamp, gestaltete sie den Rahmen für ihre Publikation.
Der Studioraum mit der großen Hohlkehle war für Dragqueen Countess Marrin reserviert. Dem Thema entsprechend war der/die Künstler/in im pinkfarbenen Bademantel entsprechend auffällig gekleidet, mit wasserstoffblonder Frisur gestylt und durchaus guter Figur ausgestattet, das auffälligste Kunstprojekt der FH-Werkschau. In Kombination mit Mode und Kosmetik bestand das eigentliche Projekt darin, die zugehörigen Voraussetzungen und Lebensumstände zum erfolgreichen Wirken einer Dragqueen aufzuzeigen. Während der tänzerischen Darbietungen, die Countess Marrin in selbstkreiertem, modischem Stewardess-Outfit bot, war der Raum bis in den Zugang hinein „brechend“ überfüllt. Die Auftritte wurden mit tosendem Applaus belohnt. Einige Voraussetzungen zur erfolgreichen Dragqueen hat Countess Marrin schon unter Beweis gestellt: Das Talent, sich sympathisch und publikumswirksam in Szene zu setzen.
Die Bachelorarbeit „Kein Wort“ von Lea Uckelmann aus der Studienrichtung Fotografie und Medien beschäftigt sich über eine Fotostrecke mit dem Leben von landwirtschaftlichen Saisonarbeitern, die alljährlich nach Deutschland kommen, gesellschaftlich jedoch kaum in Erscheinung treten. Ich muss gestehen, dass mir einzelne Portraits, Ansichten der arbeitenden Saisonarbeiter, eine abgelegte Jacke am Feldrand, ein Fußabdruck in der Erde und auch nicht die auf dem Boden abgestellten, neuen Hausschuhe – mit Preisschild, das Thema vermitteln konnten, was jedoch durchaus an meinem mangelnden Verständnis liegt. Hier fand kein Gespräch mit der Absolventin statt. Mit deren Erläuterungen wäre ich wahrscheinlich auch „klüger“ geworden.
Intensiv wird mir die Masterarbeit „Zwischen“ aus der Studienrichtung Kommunikationsdesign von Annika Lohoff in Erinnerung bleiben. In ihrer Arbeit, die innerhalb von ca. zwei Jahren entstand, spiegelt sich ihre eigene Entwicklung in unterschiedlichen, auch schwierigen Lebenssituationen, wider. Inspiriert vom Thema Verwandlung in der Mythologie und der Parallele zur persönlichen Verwandlung hat sie ihre Zeichnungen und Texte erstellt. Manche Zeichnungen wurden teilweise „blind“ mit und über den Gedanken an die begleitenden Gedichtzeilen erstellt. Die Texte zu den Gedichten wurden bei spontanen Einfällen jederzeit über Handyeingaben und Notizen festgehalten und später verwendet. Die linke Ausstellungsraumseite, ausgestattet mit Zeichnungen und Gedichten steht im Kontext mit Zeichnungen und Texten auf der rechten Raumseite. An der Stirnwand, mittig, in vertikaler Anbringung der Titel der Ausstellung: „Zwischen“.
Wer dem Ansinnen der Künstlerin folgen will, hat am ehesten die Möglichkeit dazu, wenn er nach dem Betrachten von Zeichnungen / Texten die Raumseite wechselt, um dazu den parallel platzierten Zeichnungen / Texten auf der anderen Raumseite zu folgen. Losgelöst von der räumlichen Anbringung der Zeichnungen / Texte stand alternativ die Version zweier untereinander verbundener Bücher zur Verfügung, die gleichzeitig aufgeschlagen parallel gelesen werden sollen. In den Büchern hat sich die Absolventin zusätzlich die Option der Austauschbarkeit von Texten durch einzelne, einzusteckende, bzw. austauschbare Textkarten erhalten. Nach ausgiebiger Betrachtung der Zeichnungen, die unterschiedliche Interpretationen zulassen, dem Lesen der für mich schwermütig wirkenden und nur mit Phantasie zu übersetzenden Gedichte und dem gleichzeitigen Versuch der Zuordnung von Bildern zu Texten hat uns Annika Lohoff Auskunft zur Entstehung und zum Zugang ihres Werkes gegeben. Es hat mich überrascht, wie offen und detailliert Annika Lohoff die Entstehungsgeschichte ihrer Arbeit beschrieben hat. Die unterschiedlichen Anordnungen der Texte, teilweise vertikal, sollen ihrer eigenen Auskunft nach das Lesen erschweren. Der Betrachter / Leser muss sich das Verständnis selbst erarbeiten – zwischen den Zeichnungen und Gedichten.
Genannt werden soll auch die Bachelorarbeit „µthos – In mir und unter meines Gleichen“ von Paul E. Scharmberg / Studienrichtung Kommunikationsdesign zum Thema Organismus. Ausgehend von nicht bewusst wahrgenommenen Prozessen im Mikrokosmos, folgend über die Mikrobiologie, begann er auf großformatigen Papieren mit geschlossenen Augen zu zeichnen. Im Anschluss hob er besondere Ausschnitte dreidimensional hervor. Die Zeichnungen in unterschiedlichen Größen – bis zu ca. 2m x 6m – drücken die Ebene aus, auf der alles miteinander verbunden ist. „Das Gewebe aus Mikro und Makro, das wir bewohnen wie es uns bewohnt, umgibt uns, durchdringt uns, hält uns und fängt uns auf.“ Im Halbkreis aufgestellt, hinterlassen diese großflächigen Zeichnungen beim Betrachter nachhaltigen Eindruck.
Kurz bevor um 23 Uhr die FH zur Partystätte wurde, haben wir uns von der Werkschau verabschiedet. Im Vergleich zur Werkschau im Juli des vergangenen Jahres waren die Präsentationen um ein Vielfaches besser. Die ausstellenden Absolventen haben die Raumgestaltung zur Präsentation ihrer Arbeiten mit einbezogen. Auch den persönlichen Auftritt der Aussteller habe ich bei dieser Werkschau als deutlich präsenter empfunden.
Anwesend, auskunftsbereit, kommunikativ und überraschenderweise auch oft sehr ehrlich, wenn das Warum oder Zustandekommen einzelner Ansichten oder Zusammenstellungen in persönlichen Gesprächen hinterfragt wurde. Bei einigen Aussagen der Künstler zu ihren ausgestellten Werken hatte ich manchmal den Eindruck, als wenn das eigene Verständnis zu den gezeigten Arbeiten noch etwas „reifen“ müsste, um ihren Ergebnissen den entsprechenden Rückhalt und dadurch die Daseinsberechtigung zu geben. Einzelne hoffen auch auf glückliche oder zufällige Umstände, die sie in die eine oder andere Richtung leiten werden.
Natürlich gab es noch viele weitere Projekte und Arbeiten zu sehen, die ich hier nicht alle beschreiben oder gar beurteilen kann. Aber ich kann für mich entscheiden, was mir gefällt oder nicht gefällt, was ich für betrachtenswert oder überflüssig halte. Dabei akzeptiere ich jedoch grundsätzlich andere Meinungen, kann sogar davon lernen und mich umentscheiden. Diese Freiheit nehme ich mir.
Wir haben uns gut unterhalten, interessante Gespräche mit den Absolventen geführt und dabei sympathische, junge Menschen mit eigenen Visionen getroffen. Einige davon haben durchaus vermittelt, dass sie ihren Weg machen werden, auch wenn sie noch nicht genau wissen, wie über einzelne Bausteine das Ziel aussehen soll.
Kunst kann leidenschaftlich schön sein – für fast alle ist sie jedoch erst einmal ein hartes Brot.